Präsentation Stephan Balkenhol

23. 5. — 23. 8. 1998

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Stephan Balkenhol (geb. 1957 in Fritzlar/Hessen) arbeitet seit nunmehr fast 20 Jahren als Bildhauer im klassi­schen Sinne. Mit Klöpfel und Beitel, Säge und Messer schafft er Skulp­turen und Reliefs, vorwie­gend aus Holz. Balken­hols Thema ist vor allem die mensch­liche Figur. Seine Frauen und Männer haben jedoch nichts gemein mit der tradi­tio­nellen Ästhetik der Bildschnit­zerei. Ihm geht es auch nicht um eine Ausein­an­der­set­zung mit dieser Tradition, wie sie bei neueren Tendenzen der Objekt­kunst, beispiels­weise bei Jeff Koons, festzu­stellen ist. Koons’ „Bear and Policeman“ (1988; Sammlung Kunst­mu­seum Wolfsburg) lotet mit seinen glatten Oberflä­chen ironisch die Grenze zwischen Skulptur und Kitsch aus. Balken­hols Arbeiten hingegen verleugnen den handwerk­li­chen Entste­hungs­pro­zess keines­wegs, Split­te­rungen und Furchen im Holz treten offen zutage. Oft bleibt der rohe, unbehauene Holzblock einer Skulptur als Sockel erhalten. Die ausge­wo­gene und taktile Auffas­sung von Material und Prozess verbindet Balkenhol mit dem minima­lis­tisch arbei­tenden Ulrich Rückriem, seinem Lehrer an der Hamburger Kunsthochschule.

Balkenhol fertigt seine Figuren nach Zeich­nungen oder aus dem Gedächtnis an. Die Frauen und Männer, die er aus dem Holz hervor­holt, besitzen jedoch keine Identität. Es sind keine Porträts. Gemessen am mensch­li­chen Maßstab sind die Skulp­turen immer größer oder kleiner, doch unabhängig von ihrer tatsäch­li­chen Größe wirken sie stets human. Seine „Baum-Menschen“ sind mittleren Alters, ihre Kleidung ist schlicht, fast neutral. Die wenigen Farbak­zente von Augen, Lippen und Haaren verleihen den unbehan­delten Flächen den scheinbar natür­li­chen Ton der Hautfarbe. Obwohl die Kleidung als Ausdruck einer Sozia­li­sa­tion zu verstehen ist, bleiben die Herkunft, die soziale Stellung oder auch der Beruf der Frauen und Männer unbestimmbar.

Balkenhol verzichtet auf Pose und Pathos und verleiht seinen Figuren nur sparsam Gesten oder emotio­nalen Ausdruck. So wird die Aufmerk­sam­keit auf die feinen Varia­tionen von Skulptur zu Skulptur oder innerhalb einer Gruppe gelenkt. Es sind diese Varia­tionen, die Balken­hols Figuren einer Typisie­rung entheben. So besetzen sie den Raum zwischen genauem Abbild und allge­meinem Typ.

Die Skulp­turen scheinen befreit vom Zwang der Reprä­sen­ta­tion. Sie sind nicht Träger einer Ideologie. So wie sie keine bestimmte Person darstellen, illus­trieren sie auch keine bestimmte Geschichte. Die Frage: Was zeigt die Figur? kehrt sich um in: Wie wird die Figur gesehen? Jede Arbeit bietet daher einen Assozia­ti­ons­rahmen, den der Betrachter mit seinen eigenen Geschichten füllen kann. Für den Künstler soll „die Figur über sich hinaus­wachsen, über sich und andere Dinge erzählen, ohne sich zu verrenken und Grimassen zu schneiden. (…) So wie die Figur auch nicht nur ein Stück Holz ist, (…) sondern eben als Bild lebendig und transparent.“

Hin und wieder gibt Balkenhol seinen Skulp­turen Symbole oder Attribute bei, er schafft Engel und Teufel oder eben „Paar auf Weltku­geln“, 1993. Die beiden Teile der Arbeit „Paar auf Weltku­geln“ werden so präsen­tiert, dass der Betrachter immer nur eine Skulptur sehen kann, schließ­lich gibt es nur eine Welt. Das Attribut gibt dabei lediglich den Auftakt zu einer möglichen Inter­pre­ta­tion, es existiert keine festge­schrie­bene Bedeutung. Der Betrachter kann vielmehr sich selbst zu Welt und Mensch in Beziehung setzen.

Seit 1990 tauchen auch Tiere in Balken­hols Arbeiten auf, häufig kombi­niert mit kleinen mensch­li­chen Figuren. Es ist das Prinzip der natür­li­chen Koexis­tenz zwischen Mensch und Tier, das diesen Skulp­turen zugrunde liegt. Auf versöhn­liche Weise lassen sich kindliche Erinne­rungen und Emotionen assozi­ieren. Der humor­volle Aspekt von Balken­hols Arbeiten tritt hier vielleicht am deutlichsten zutage.

Das Kunst­mu­seum Wolfsburg begleitet mit dieser Präsen­ta­tion ein Projekt der Bonhoeffer-Kirchen­ge­meinde im Wolfs­burger Stadtteil Westhagen. Die nach Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), einem führenden Theologen der Beken­nenden Kirche und damit des Wider­standes gegen die Natio­nal­so­zia­listen benannte Kirche ist einer der jüngsten modernen Kirchen­bauten Norddeutsch­lands. Er wurde nach den Plänen des Wolfs­burger Archi­tekten Wilhelm Wacker errichtet und 1995 eingeweiht.

Für die Gestal­tung des Innen­raumes ist ein künst­le­ri­scher Wettbe­werb ausge­schrieben worden, der von der in Hannover ansäs­sigen Hanns-Lilje Stiftung gefördert wurde.

Diese Stiftung setzt sich für einen Dialog zwischen der zeitge­nös­si­schen Kunst und der Kirche ein. Unter Vorsitz von Gijs van Tuyl hat die Jury dieses Wettbe­werbes einen Entwurf von Stephan Balkenhol prämiert. Balkenhol hat erstmalig sakrale Gegen­stände wie Altar, Taufbe­cken, Ambo und ein Kreuz geschaffen und auf der 12 m hohen, halbrunden Altarwand sieben Relief­fi­guren aus Pappel­holz vereint, die Frauen und Männer mit verschie­denen Haltungen und Gesten darstellen. Diese Perso­nen­gruppe verleiht der Wand eine imaginäre Plasti­zität. Es scheint, als würde die Altarwand aufge­bro­chen und in die Höhe und Weite ausgedehnt.

Die Figuren bieten für die Kirchen­be­su­cher ein Gegenüber, in dem sie eigene und fremde Wirklich­keit erkennen können. Balken­hols Kunst ist offen für die Empfin­dungen und Gedanken der Menschen und zugleich lässt sich sein Werk als Versuch verstehen, auf andere Wahrheiten hinzuweisen.

Bestim­mend für das Leben und das theolo­gi­sche Werk Dietrich Bonhoef­fers war die Einsicht, dass die Kirche sich mit dem ausein­an­der­setzen muss, was für den Menschen in seiner Zeit wichtig ist. Hierauf nimmt die Kunst Stephan Balken­hols Bezug.