Cindy Sherman
Untitled Film Still #58
1980

© Cindy Sherman & Metro Pictures
© Cindy Sherman & Metro Pictures
Schwarzweißfotografie
ohne Rahmen: 67,5 x 100,5 cm, mit Rahmen: 94,2 x 127,6 cm
Ex. 2/3
Inv. 1997/09
In starker Untersicht erblickt man vor der Fassade eines Bürohauses aus den Fünfzigerjahren eine junge Frau, die einen selbstbewussten Blick über ihre rechte Schulter und den Betrachter werfend vorübergeht. Ein modischer Schal, den sie um Kopf und Hals gebunden hat, weht dezent hinter ihr her. Ihrem ebenmäßig geschnittenen Gesicht ist keine Regung zu entnehmen.
Cindy Sherman präsentiert sich hier als Geschäftsfrau, die vor großstädtischer Kulisse in einer scheinbar alltäglichen Straßensituation Dynamik und Modebewusstsein ausstrahlt. Wie in den meisten der Untitled Film Stills bleibt auch hier offen, ob der Blick der Dargestellten ins Leere geht oder sich auf eine undefinierte Bezugsperson richtet. Für die Fixierung des Augenblicks mit der maximalen Offenheit der Situation hat Sherman hier ähnlich wie für die übrigen Motive der Untitled Film Stills nicht mehr als sieben Aufnahmen benötigt.
Bei den Untitled Film Stills, die Cindy Sherman als ihre anspruchsvollsten Arbeiten bezeichnet hat,[1] handelt es sich nicht um Selbstporträts oder Repräsentationen ihrer selbst.[2] Vielmehr sieht sie ihre Fotografien als „personifizierte Bilder spezifischer Gefühle [...], die sich selbst ‚porträtieren‘“[3].
Die aus grobkörnigen und damit Details verunklärenden Schwarz-Weiß-Bildern bestehende Serie der Untitled Film Stills ist im Werk Cindy Shermans nicht ohne Voraussetzungen entstanden: „Bevor ich diese Serie gemacht habe, habe ich sehr viele alte Kleider gesammelt und mich selbst in ihnen fotografiert. An einem Punkt habe ich angefangen, diese cut-outs von mir selbst als verschiedene Persönlichkeiten zu machen, die interagieren konnten. Zum Beispiel ich als ein Mann und eine Frau, die sich leidenschaftlich küssen, oder als Mutter, die ihre beiden Kinder im Arm hält. Ich habe einige sehr erzählerische Serien gemacht, in denen ich mit diesen cut-outs gearbeitet habe, die wie Bildvorlagen für ein Theaterstück oder einen Film funktionierten.
Als ich dann nach New York zog, war das für mich abgeschlossen. Ich wollte das Ganze vereinfachen, nur noch Fotos machen, die als einzelne Fotos für sich funktionieren, aber trotzdem Geschichten erzählen. Ich habe mich damals sehr viel mit Film beschäftigt. Ich hatte viele Bücher über Film. Besonders alte Filme haben mich mehr inspiriert als die ‚Kunst-Welt‘. Vor allem traditionelle Kunst war für mich nicht sehr interessant. Die ‚Film Stills‘ waren für mich die Lösung, Bilder, die aussehen, als wären sie aus einem Film, der nie gedreht wurde.“[4]
Der Charakter dieser fiktiven Filme entsprach weitgehend dem Durchschnittsfilm, dessen Wirkung auf den „Durchschnittsbürger“ sich Sherman durchaus bewusst war: „Die B-Klassigkeit von Fotografie als B-Kunst, als zweitklassige Kunst war von Anfang an eine Intention. Abgesehen davon, daß zu der Zeit, als ich anfing, diese Fotos zu machen, Fotografie nicht als ‚hohe Kunst ernstgenommen wurde, schien mir B-Klassigkeit ein Weg zu sein, Kunst zu machen, die das, was als hohe Kunst galt, nicht mehr allzu ernst nimmt. [...] In einigen der Fotos habe ich diese Art von B-Filmen imitiert, in denen es meistens um eine Mann-Frau-Geschichte geht. Und dabei geht es fast immer um die Geschichte des Mannes, bei der die Frau die Rolle der dekorativen Zugabe hat. Das habe ich versucht zu verändern, indem ich Szenen zeige, die man in diesen Filmen normalerweise nicht sieht. Ich wollte, daß diese Fotos wie Szenen aussehen, die ein Filmproduzent rausschneiden würde, weil sie nicht gut genug sind. [...] Zwischen-Momente, in denen Schwäche, Häßlichkeit oder was auch immer nicht mehr ins Klischee der erwarteten Rolle passen. Frauen sind in diesen Filmen meistens sehr direkt und vordergründig im Bild, porträtiert in ziemlich offensichtlichen Gefühlsmomenten. Entweder sind sie sehr glücklich oder sehr traurig, sehr verängstigt oder sehr verführerisch. Sie geben diese eindeutigen und eindimensionalen Bilder ab. Ich bin mit den Gefühlen der Frauen in meinen Fotos etwas ambivalenter umgegangen. Mich haben die linkischen Momente zwischen gut und böse, glücklich und unglücklich, schön und häßlich interessiert.“[5] Holger Broeker
[1] „Cindy Sherman: ‚Ich wollte auch häßliche Bilder so attraktiv erscheinen lassen, daß man Lust hat, sie sich anzusehen‘. Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks“, in: Kunstforum International, 133, Februar–April 1996, S. 226–243, hier S. 243.
[2] Vgl. Cindy Sherman im Gespräch mit Wilfried Dickhoff (Kunst heute. Gespräche mit zeitgenössischen Künstlern, 14), Köln 1995, S. 15–71, hier S. 15.
[3] Ebd., S. 16.
[4] Ebd., S. 22.
[5] Ebd., S. 24ff.